Die Lieblingsbank
Ein Wintertag im geliebten Tal: Die Sonne lacht vom wolkenlosen Himmel und mich zieht es als erstes an meinen Lieblingsplatz, eine ganz besondere Bank, besser gesagt MEINE Lieblingsbank.
Der Weg ist diesmal weit: Zunächst muss ich durch den Schwendetobel, über die alte Schwendebrücke und auf der anderen Seite wieder hinauf. Als ausgewiesener Winterwanderweg ist dieser bestens präpariert. An der alten Schwendebrücke, dort wo sich Breitach und Schwarzwasserbach vereinen, lege ich einen kurzen Stopp ein und lausche dem leisen Flüstern der beiden Bäche. Das Wasser gurgelt leise plätschernd an den großen schneebedeckten Steinen vorbei der Breitachklamm entgegen. Die Flussränder sind leicht angefroren, hin und wieder ist ein leises Glucksen zu vernehmen. Wie so oft bin ich alleine unterwegs, genieße die Stille und die Natur und erfreue mich an dem, was ich erleben darf. Schließlich aber löse ich mich von diesem schönen Fleckchen, denn ich habe einen Anstieg vor mir, der Kraft kostet. Bis ich den Fellhornweg erreicht habe, geht es steil bergauf, nichts als mein eigenes Schnaufen, das Knirschen der Schritte im Schnee und das fröhliche Zwitschern der Vögel in der Nachmittagssonne ist zu hören. Schließlich erreiche ich den Ortskern von Riezlern und das Rufen meines Lieblingsplatzes wird immer lauter. Jetzt hält mich nichts mehr. Der Schritt, der beim Aufstieg vom Schwendetobel noch ziemlich schwer war, wird jetzt wieder fester. Schnell am Casino in den Westeggweg einbiegen und die richtige Richtung einschlagen.
Bald ist das Ziel in Sicht. Doch bevor ich endgültig dahin gehe, wonach ich mich schon wieder so lange sehne, biege ich kurz ab – auf den Riezler Höhenweg. Ich kenne diesen Weg sehr gut, er gehört zu meinen Lieblingsspaziergängen des Tales, und doch zeigt er mir jetzt sein anderes Gesicht, sein Wintergesicht. Nur ein schmaler Pfad, wenige Tritte, keine Menschenseele ist auf diesem Kleinod unterwegs, wieder einmal ich allein mit der Natur und die Natur allein mit mir. Ich beginne aufzuatmen, den Alltag abzuschütteln und nur noch ich selbst zu sein. Ich gehe diesen Weg nur etwa bis zur Hälfte, bevor ich dem Skizirkus der Talskilifte begegne, kehre ich um.
Schließlich wird der Lockruf immer lauter und ist bald übermächtig, so dass es mich nur noch in eine Richtung zieht: Zum Bööchle am Riezler Höhenweg – mit dem unverwechselbaren und einzigartigen Talblick, einer meiner absoluten Lieblingsplätze. Ich habe Glück: Als ich endlich dort ankomme, sind die Bänke nicht besetzt. Ich setze mich, strecke die Beine aus und schließe die Augen. „Schön, dass du wieder da bist“, höre ich die Bank sagen. Es ist perfekt: Blauer Himmel, stolze Berge und sanft gewellte glitzernde Schneeflächen – er ist schön, der Kleinwalsertaler Winter, auch als Fußgänger und ohne Ski. Mir scheint die Sonne ins Gesicht, es ist gerade Anfang Februar, aber frieren? Nein, ganz im Gegenteil, mir ist warm – warm ums Herz voller Glückseligkeit. Der Schnee funkelt im Sonnenlicht, die Wiesen sind zugedeckt und die Äste der Bäume tragen manchmal ein wenig schwer am frisch gefallenen Schnee des letzten Tages. Hin und wieder entledigt sich einer seiner weißen Last, wenn ihm die Sonne zu Hilfe gekommen ist.
Und ich? Ich sitze einfach nur noch da und genieße das süße Nichtstun, das Einfach-da-sein-dürfen und an-nichts-mehr-denken-müssen. Vor ein paar Tagen noch sehr gestresst, bin ich jetzt wieder die Ruhe selbst, entspannt und völlig frei, und zum ersten Mal seit Wochen gelingt es mir, endlich wieder einmal alles um mich herum zu vergessen. Zufrieden fühle ich mich endlich wieder mittendrin in der Welt – mittendrin in der Kleinwalsertaler Winterwelt. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.