Im Wohnzimmer der Steinböcke
Bereits seit längerer Zeit habe ich eine Einladung. Diese Einladung kam von einem einheimischen Freund, Hotelier, Gourmetkoch und ausgebildeten Wanderführer. „Wenn Du wieder da bist, ruf mich an, dann machen wir mal was zusammen“, hieß es immer wieder. Aber wie das eben oft so ist, kam immer wieder irgendetwas dazwischen. Bis zu diesem einen Tag im Wanderherbst des letzten Jahres. Da sollte es endlich klappen.
Eines schönen Nachmittags klingelt es und ich freue mich riesig, als ich die Stimme vernehme, die mir am Telefon eröffnet: „Ich gehe morgen um den Widderstein. Wie sieht’s aus, kommst Du mit?“ Ich war selbst ein paar Tage zuvor schon alleine dort, aber da diese Tour zu einer meiner Lieblingswanderungen gehört, die man immer wieder gehen kann, sage ich freudig zu.
Und so kommt es, dass ich mich am nächsten Morgen im Alpenhof Jäger einfinde und zunächst die Hausgäste kennenlerne, die an diesem Tag mit mir unterwegs sein würden. Martin Jäger, der Seniorchef des Hauses und ausgebildeter Wanderführer, geht regelmäßig mit seinen Hausgästen in die Berge – und ich darf mich dieser Gruppe anschließen.
Gut gelaunt machen wir uns auf den Weg. Zunächst mit dem Bus Richtung Bödmen, dann ein Stück entlang der Breitach und schließlich am schönen Gemstelbach durch das Gemsteltal. Beim gemütlichen Einlaufen in der Gruppe an diesem Morgen genug Gelegenheit, sich zu beschnuppern und kennenzulernen – prima, die Chemie stimmt, das passt. Auch genug Gelegenheit, den frischen Morgen zu genießen: das Zwitschern der Vögel, das Zirpen der Grillen, den frischen Morgentau und die ersten Sonnenstrahlen.
Wer den Weg kennt, weiß, dass an der Hintergemstelalpe der Anstieg beginnt. Da ich den Weg gut kenne, gehe ich vor, während Martin seine Hausgäste-Truppe auch an den wenigen etwas kritischeren Stellen sicher führt und auch mit Erklärungen nicht geizig ist. Bis zur Obergemstelalpe verzaubern wieder einmal reizvolle Aus- und Einblicke, z. B. hinunter ins Tal oder hinein in die Gemstelklamm.
An der Obergemstelalpe rasten wir kurz – und dann die Überraschung für mich. Noch immer bin ich in dem Glauben, wir würden nun zum Widderstein weiter laufen. Weit gefehlt! Ich hatte wohl mal erwähnt, dass ich schon oft über den an der Obergemstel abzweigenden Weg in Richtung Geißhorn und Mindelheimer Hütte nachgedacht hatte, aber ihn noch nie gegangen war. Erst hier – in gut 1.700 m Höhe nach gut 2 Stunden Weg – erfahre ich das wirkliche Ziel „der Reise“: Geißhorn, Mindelheimer Hütte und Abstieg durch die Kemptner Scharte.
Die Überraschung ist wirklich gelungen! Ich freue mich wie ein kleines Kind unter’m Weihnachtsbaum. Neue Wege erkunden, dafür bin ich immer zu haben – und so wird aus einer entspannten Wanderung ein spannender Tag.
Wir verabschieden uns vom Hüttenwirt der Obergemstelalp, der uns noch erzählt, dass er am Morgen Steinböcke gesichtet hat, die am Geißhorn ihr Wohnzimmer haben – das wird wirklich spannend. Also Augen auf – wird uns dieses Glück auch gegönnt?
Nicht mehr ganz so steil gehen wir den links weiterführenden Weg zur Sterzer Hütte und vom „Sterzer Seele“ in serpentinenreichem Aufstieg hinauf zum Sattel und zum Grenzpunkt Koblat. Ich bin erstaunt, wie problemlos und schnell jetzt die Höhenmeter unter den Füßen zerrinnen. Am Koblatpass wieder eine kurze Rast und Zeit, eine Entscheidung zu fällen, denn unsere Wandergruppe wird sich kurzzeitig teilen. Die Männer wollen noch den Geißhorn-Gipfel mitnehmen, die Frauen werden direkt den in nördlicher Richtung weiterführenden Weg hinaus zur Mindelheimer Hütte nehmen.
Zwei Herzen schlagen nun in meiner Brust, ich bin hin- und hergerissen und möchte mich teilen können. Diese Entscheidung fällt verdammt schwer. Doch letztendlich entscheide ich mich dafür, mit den Frauen zu gehen. Der Geißhorn-Gipfel ist auch im nächsten Sommer noch da – und es braucht schließlich weitere Vorhaben und Ziele. Über den „Schwabengrat“ und den „Wilden Gund“ erreichen wir schließlich auf unserem ganz persönlichen Stück der „Via alpina“ die Mindelheimer Hütte, Ausgangspunkt zahlreicher Wander- und Klettertouren.
Jetzt haben wir uns eine Stärkung verdient. Und hier schmeckt man die Berge: Regionale Produkte, Fleisch von den Talbauern, Wild aus dem Rappenalptal, Käse von den umliegenden Alpen, Nudelprodukte aus eigener Herstellung, Kuchen aus eigener Produktion. Der Zwiebelrostbraten ist immer vom größten Ochsen aus dem Allgäu! Natürlich dürfen Fotos nicht fehlen, eine vor Stolz und Freude nur so strotzende Nachricht an die im Tal gebliebenen Freunde und dann ganz schnell das Handy wegpacken, damit dieses nicht dem hütteneigenen „Handyausschalter“ zum Opfer fällt.
Nach der ausgiebigen Rast und nachdem die Gruppe wieder vereint ist, erwartet uns noch der leichte Aufstieg zur Kemptner Scharte. Von hier beginnt nun der sehr spannende Abstieg zur Hinterwildenalpe. In Serpentinen schlängelt sich ein schmaler, teilweise durch Seile gesicherter Weg durch ein steil abfallendes Geröllfeld dem Wildental entgegen. Höhenangst sollte man jetzt nicht haben, schwindelfrei und trittsicher sollte man unbedingt sein! Nur so kann man den exponierten Abstieg wirklich genießen, der dieser Tour schlussendlich die Krone aufsetzt.
Schließlich erreichen wir die Fluchtalpe und der Tag klingt mit dem Auslaufen durch das Wildental aus.
Diese aussichtsreiche Rundtour mit der Möglichkeit der Gipfelbesteigung nicht nur des Geißhorns, sondern auch des Kemptner Köpfle’s, bietet ein unvergessliches Erlebnis. Sie wartet mit einzigartiger und sehr abwechslungsreicher Landschaft und fantastischen Fernblicken in die umliegenden Berge auf, die ich jetzt gar nicht alle aufzuzählen vermag. Sie fordert aber als schwere Tour auch ein ordentliches Maß an Trittsicherheit und vor allem Kondition, beträgt doch die reine Laufzeit etwa 7 bis 8 Stunden. Es sind rund 18 km und etwa 1.400 Höhenmeter zu bewältigen.
Wer sich aber voll und ganz darauf einlassen kann, dem verspreche ich einen traumhaften Tag in den Bergen. Im September letzten Jahres war die Geißhorn-Rundtour für mich das erste Mal, wird aber ganz sicher nicht das letzte Mal bleiben. Der Gipfel will noch immer erstürmt werden!
Wir wünschen einen traumhaft schönen Wandersommer in den Kleinwalsertaler Bergen. Wer ist dabei?
Mir bleibt schlussendlich nur noch ein herzliches „Vergelt’s Gott“ an den Bergfreund, Hotelchef, Gourmetkoch und Wanderführer Martin Jäger vom Alpenhof Jäger für einen fantastischen Tag in den Bergen. Ich freue mich darauf, auch diesen Sommer wieder in Deiner Begleitung in den Bergen unterwegs sein zu können und bin gespannt, womit Du mich diesmal überraschst.
Und hier geht’s zu den Bildern:
https://www.facebook.com/kleinwalsertalerbergwelten/photos/?tab=album&album_id=1322370797792068