Neujahrsspringen
Das Neujahrsspringen hat in diesem Falle nichts mit der Vier-Schanzen-Tournee zu tun. Ganz und gar nicht.
Hierbei handelt es sich um einen schönen und alten Brauch im Kleinwalsertal. Für die Jungen auf der einen und für die Alten auf der anderen Seite. Und trotzdem droht er auszusterben.
Gerne erinnere ich mich an meine Jugend, als wir Schulkinder von Haus zu Haus zogen, meistens in kleinen Gruppen zu zweit oder zu dritt, klingelten oder klopften und nach dem Öffnen der Türe den Bewohnern ein gutes neues Jahr wünschten. Das zog sich, je nach Lust und Laune, über den ganzen Tag hin, von der Ortsmitte bis in abgelegene Weiler und Flure. Die Palette reichte vom schlichten Neujahrsgruß bis hin zu einem fröhlichen Lied oder Gedicht mit guten und frommen Wünschen. Termin war und ist auch heute noch der Silvestertag. Zur Belohnung gab’s seinerzeit so zwischen 20 und 50 Pfennige pro Haus, pro Person. Das Geld wanderte sofort in einen von der Mutter genähten Stoffbeutel, den man um den Hals trug. War man fleißig, kam da ganz schön was zusammen! “Gute Geschäfte” machten wir natürlich bei Verwandten, beim Götte (Taufpate) und auch bei den nächsten Nachbarn. Die langten gerne etwas tiefer in die Tasche. Beim “Ski Müller” – in den 1960er Jahren eines der führenden Sportgeschäfte in Riezlern, gab es ein Stück Schiwachs (durchsichtiges Paraffin oder Silber war uns am liebsten), beim Bäcker Wiedemann erhielten wir Brot, Semmel und/oder Süßes und beim Metzger in der Traube, gleich gegenüber, ein Paar Würste – Wienerle oder Landjäger. Das hat vielleicht geschmeckt. An diesem Tag sogar besser als Wienerschnitzel mit Kartoffelsalat! Das Getränk dazu kauften wir uns beim Kaufhaus Ritsch, beim Moosbrugger, Schuler oder “Milch-Poldi”. Schöne, unvergessene Zeiten!
Nach getaner Arbeit wurde ein Teil des Lohnes dann in der Drogerie Hole “verputzt”. Dort gab es die tollsten Silvesterartikel, die unsere Augen zum Funkeln brachten. Knallfrösche und -fürze, Pulverblättle, ein Set zum Bleigießen, Konfetti, es war einfach alles da, hochinteressant und verursachte heftiges Klopfen in der Brust. Vieles davon war jedoch für uns noch nicht zum Kauf erlaubt. Schade und Gott sei Dank, so blieb wenigstens das meiste Geld im Beutel. Die Aufregung war groß, als wir daheim dann den Brustbeutel leerten, die Münzen auf dem Küchentisch ausbreiteten und das Geld hastig zählten. Drei-, vier- oder gar fünfmal zur Kontrolle, Verwandtschaftsgeld extra.
Mein Vater und meine Tanten hatten erzählt, dass sie in den 1930er Jahren zwischen einem und fünf Pfennigen pro Haus bekommen hatten. Manchmal auch einen “Zuckerbolla” (Bonbon), bei Verwandten ein deftiges Mittagessen. Sie ließen damals fast kein Haus aus und kamen erst spät am Abend bei Dunkelheit verfroren in die warme Stube zurück.
Das Einzugsgebiet bezog sich auf den Ort, in dem man zuhause war. Auch heute noch “springen” die Kinder in Riezlern, Hirschegg und Mittelberg in ihrem Revier.
Die Zeiten ändern sich. Nun stehe ich selbst an der Haustüre, bedanke mich für die guten Wünsche und frage mit Neugierde, wer von den Kindern zu welchen Eltern gehört. Im Schnitt erhalten die Neujahrsspringer so einen Euro pro Haus. Klar, wie früher bekommen Nachbarn und Verwandte eine Münze oder einen Schein aus der Extrakasse dazu. Bedauerlich, dass mich der schöne Brauch nur etwa 30 Euro für den ganzen, langen Tag kostet.
In einer Abwandlung springt und singt heuer am 31.12.2019 bereits zum zweiten Mal Daniel Jochum mit einigen seiner Lauffreunde – und sie sammeln für einen guten Zweck, wobei das Geld garantiert im Kleiwalsertal bleibt. Dazu das Posting in Facebook:
„#nüjaarschprenga – die zwote ?♂️❤
Brauch bleibt Brauch und sollt Tradition werden… I hatt letztes Jahr so viel Spaß beim #everysinglestreet Projekt im Kleinwalsertal.com dass i mi dazu entschlossen hab, au dieses Jahr wieder singend durch die schönste Sackgasse der Welt zu Rennen und Spenden für s Nüjaarssprüchle zum sammeln.
(Außerdem hab i no 10€ vom letzten Jahr, der edle Spender wollte eh dass i au 2019 wieder geh ?) … dieses Jahr sollen die Spenden an eine junge Familie im Walsertal gehen.
Der kleine Vitus Schneider (2 J.) braucht ein Gerät, um der Muskelathropie entgegenzuwirken:
„Vitus hatte kurz vor der Geburt eine Sauerstoffunterversorgung weshalb sein Nervensystem einen schweren Schaden davongetragen hat. Vorallem die Muskelschwäche macht ihm zu schaffen. Mit dem Galileo-Therapiegerät können seine Muskeln trainiert und gestärkt werden, was im Alltag sehr hilfreich wäre um z.B. stabiler sitzen zu können oder selbstständig essen zu lernen.“
Deshalb ziehe ich am 31.12. wieder durchs Tal und sammle Spenden für Vitus. Begleitet werde ich von meinen Freunden David Kögler und Patrick Caprano ?♂️?♂️
?♂️ Bei wem ich vorbeilaufen derf, einfach mir die Adresse schicken und auf Besuch gefasst machen.
?♂️ Wer auch ein Stück mitkommen will, einfach Bescheid geben
?♂️ Wer spenden möchte, aba nicht im Walsertal wohnt… da finden wir au ne Lösung ?
Es würd mi wahnsinnig freuen, wenn ihr des Projektle wieder unterstützt und fleißig spendets!“
Das ist auf jeden Fall eine Unterstützung wert.
Der Originaltext dieses Blogs wurde uns freundlicherweise von unserem Freund Rolf Köberle zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!