Die Krampusse sind los – Tobi und d‘Bommera
Ein gemütlicher Abendspaziergang durch das verschneite Riezlern – danach ist mir heute. Also warm einpacken und los geht es. Leise rieseln große weiße Flocken vom Himmel. Ich freue mich über den frischen Schnee, der sich pudrig auf den Wegen niederlässt. Das Dorf ist vorweihnachtlich geschmückt, manch ein Baum erstrahlt bereits im Glanz der Lichterketten.
Vorfreude auf das Weihnachtsfest kommt auf. Aus der Ferne dringen Geräusche an mein Ohr, die ich nicht zu deuten weiß. Schnell aber werden diese Geräusche lauter. Was ist das? Dann fällt mir ein, welches Datum wir heute schreiben: den 5. Dezember! Morgen ist Nikolaustag, dann sind das, was ich höre … ja richtig, im Kleinwalsertal sind die Krampusse los!
Der Krampus, eine Schreckgestalt in Begleitung des Heiligen Nikolaus, gehört zum Adventsbrauchtum des Ostalpenraums und des bayrischen Voralpenlandes. Während der Nikolaus die braven Kinder beschenkt, werden die unartigen vom Krampus bestraft. Die Krampusse treten immer in Gruppen auf, sind in Felle gehüllt und verstecken ihr Gesicht hinter Masken mit Ziegenbock-, Steinbock- oder Widderhörnern. Meistens haben sie große Glocken oder Schellen bei sich, wenn sie lärmend durch die Dörfer ziehen. Nicht fehlen darf natürlich die Weidenrute – vor der man sich besser in Acht nimmt.
Die Geräuschkulisse wird größer, sie kommen immer näher! Was tun? Bleiben und dem Schauspiel zusehen oder dem Fluchtinstinkt nachgeben, der in mir wach wird? Meine Schritte werden schneller, kein noch so schön dekoriertes Schaufenster kann jetzt noch meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Nur nicht den Krampussen in die Hände fallen, das ist das einzige Ziel, was ich jetzt noch verfolge. Doch wohin so schnell, damit sie mich nicht entdecken? Mir klopft das Herz bis zum Hals. Während ich noch überlege, wohin ich flüchten soll und wo ich mich schnell noch verstecken kann, sind sie plötzlich da – direkt hinter mir – mir bleibt kaum mehr eine Chance zur Flucht. Wenn ich mich umdrehe, blicke ich in Masken aus zotteligem Fell und mit langen Hörnern. Die Geräuschkulisse ist gewaltig. Um mich herum ist alles in Bewegung, mein Puls rast. Und gerade in dem Moment, als ich eine Hand auf meiner Schulter und heißen Atem in meinem Nacken spüre … schlage ich schweißgebadet die Augen auf. Ein Traum, es war NUR ein Traum!
Auch im Jahr 2019 war ich am Abend des 06.12. am Casinoplatz in Riezlern, denn ich wollte wieder dabei sein beim Krampuslauf. Und ich war neugierig, wer sich dahinter verbirgt. Deshalb habe ich mich Ende Dezember 2019 mit Tobias Jauch, dem Obmann des Krampusverein d’Bommera, getroffen. Er hat mir etwas über den Verein und dessen Aktivitäten erzählt.
Der Verein besteht seit Oktober 2014. Sein Zweck ist die Pflege eines sehr alten Adventsbrauchtums, welches im Alpenraum weit verbreitet ist und dazu dienen soll, böse Geister zu vertreiben. Es ist noch keine 100 Jahre her, als dieser Brauch aus dem Allgäu auch ins Kleinwalsertal eingewandert ist.
Insgesamt sind ca. 40 Mitglieder im Verein organisiert. Das jüngste Mitglied zählt gerade einmal 13 Lenze, der Älteste ist etwa Mitte 30. 22 Mitglieder sind aktiv beim Springen dabei, denn das ist erst ab einem Alter von 16 Jahren möglich. Traditionell ist mit dem Springen Schluss, sobald der Krampus verheiratet ist und / oder Nachwuchs hat. Aber die Jüngsten und auch die „Altmitglieder“ sind deshalb nicht leise. Ihre Aufgaben bestehen in Hilfeleistungen, Ordnertätigkeiten und bei den jährlichen Umzügen in Deutschland und Österreich während der Hoch-Zeit im November und Dezember sind sie natürlich vollständig vertreten. Nach dem Nachwuchs befragt, sagt mir Tobi, dass man Nachwuchssorgen eigentlich nicht kennt und er mit seinem Leitungsgremium inzwischen genau hinschaut, wen man aufnimmt, denn es muss einfach passen. Schließlich gibt es strenge Regeln, was ein Krampus darf und was nicht. Von wilden Splittergruppen, die sich an diese Regeln nicht halten, distanziert sich der Verein energisch.
Das Gewand der Krampusse besteht in der Hauptsache aus Fellen von Schaf und Ziege, ab und zu ist auch mal Fuchs, Reh oder ein Hase dabei. Das Gewand wird ausschließlich in Handarbeit genäht und es braucht etwa 30 – 40 Stunden Arbeitszeit, bis es tragfähig ist. Dazu braucht es dann noch Geweih oder Hörner, die von allem stammen können, was Geweih oder Hörner trägt, z.B. Kuh, Ziege, Gams, Reh, Hirsch oder auch schon mal ein Steinbock. Kontakte zur Jägerschaft sind dabei deutlich von Vorteil. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass kein Tier extra für ein Krampusgewand sterben muss. Vielmehr handelt es sich um „Überbleibsel“ von Tieren, die aufgrund der natürlichen Auslese sowieso ihr Leben lassen mussten und deren Fell und Horn so einer weiteren Verwendung – sozusagen einem zweiten Leben – zugeführt werden.
Nimmt man dann noch große und (vor allem laute) Schellen oder Glocken dazu (im Walser Dialekt „Bommera“ – daher der Vereinsname), ist der Krampus komplett angezogen und trägt nicht nur einen Wert zwischen 800 und 2.500 Euro mit sich herum, sondern auch – je nach Ausstattung – ein Gewicht von etwa 30 – 60 kg. Jetzt kann man sich bei diesen Gewichten natürlich vorstellen, dass es darunter sehr warm wird, deshalb wird sich jeder Krampus so viel wie möglich und nötig bewegen, um für eine Luftzirkulation zu sorgen. Alles in allem zeigt es, dass das Krampusdasein nicht nur Gaudi ist, sondern auch Schwerstarbeit. Die eine oder andere Schweißperle auf der Stirn ist gewiss.
Was darf nun der Krampus – und was nicht? Zunächst einmal stehen Besuche auf dem Weihnachtsmarkt auf dem Programm und private Hausbesuche bei jenen, die einen Besuch von Krampus und Nikolaus wünschen. An die alten Menschen wird selbstverständlich gedacht. Beim „Chrömle“ verteilen machen sie den Kindern eine Freude und ich selbst durfte schon erleben, wie so ein kleiner Fratz mit großen Augen freiwillig seinen Nuckel gegen ein Geschenk vom Krampus eingetauscht hat.
Beim Springen, dem Krampuslauf am Nikolaustag, geht es freilich etwas wilder zu. Sobald der spektakuläre Einzug vorbei ist und die ersten Schneebälle fliegen, geht es auf die wilde Hatz. Kinder necken die Krampusse und diese jagen den frechen Kindern hinterher. Strafe muss sein, doch meistens ist es mit ein paar Liegestützen oder Kniebeugen und einem kleinen Hieb mit der Rute, die übrigens bereits im Sommer geschnitten werden, dann auch abgetan.
Spaß ist allemal dabei, aber es geht schon lang nicht mehr so wild zu wie früher. Als mir Tobi von den wilden Streichen aus früheren Jahren erzählt, höre ich ein wenig Wehmut in seiner Stimme. Allerdings – und das ist nun mal so – gibt es bestimmte Regeln, an die sich jeder halten muss. Und Prügeleien, wie sie leider auch manchmal vorkommen und von denen man dann in der Presse liest, das geht natürlich gar nicht, da vertritt auch der Krampusverein eine ganz eindeutige Meinung. Schlussendlich hält er als Obmann im Falle des Falles den Kopf hin – und jeder Mitwirkende haftet mit seiner eigenen privaten Haftpflichtversicherung für evtl. Schäden. Sicher hat sich mancher schon gefragt, was die Armbinden mit den Nummern an den Kostümen zu bedeuten haben? Hinter jeder Nummer steht ein Name, der bei den Behörden registriert ist – inkognito ist also nicht. Fehlt diese Armbinde, sollte man zumindest einmal nachdenken, ob alles legal und mit rechten Dingen zugeht.
Selbstverständlich wäre all das nicht möglich ohne Unterstützung. Doch Tobi und sein Verein können sich auf die Unterstützung von Sponsoren verlassen und auch die Gemeinde steht hinter ihnen. Dafür sind sie sehr dankbar. Tobi und seine Jungs wünschen sich allerdings manchmal auch etwas mehr Verständnis, nämlich z.B. dann, wenn im Rahmen ihres Springens mal für eine gewisse Zeit eine Straße kurzzeitig gesperrt ist, damit das Brauchtum auch gefahrlos stattfinden kann. Und sie wünschen sich Unterstützung z.B. dann, wenn sie mit einem Stand auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein verkaufen. In diesem Sinne gilt dann wieder: Kauft lokal auch bei d’Bommera – das Geld bleibt garantiert für einen guten Zweck im Tal!
Und was passiert nach der Krampusjagd, wenn es wieder ruhiger wird? Dankeschön-Partys für alle Helfer und Sponsoren, übers Jahr auch mal ein Vereinsausflug, die Pflege der wertvollen Gewänder – und alle 2 Jahre nach Aschermittwoch der traditionelle Funken – aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Ich habe einen jungen Mann kennengelernt, dem das Brauchtum noch etwas bedeutet und dem sein Verein und alles drumherum sehr wichtig sind. Wenn er nicht im Krampuskostüm unterwegs ist, findet man ihn im Winter in der Skischule Bödmen-Baad und im Sommer auf der Stutzalp. Lieber Tobi, vielen Dank für das spontane, nette und aufschlussreiche Gespräch und die Zeit, die du dir genommen hast. Ich freue mich schon auf’s nächste Jahr.
Ach ja, da war ja noch was: mein Krampustraum. Selbstverständlich haben sie mich nicht erwischt, die finsteren Traum-Gesellen mit ihren Fellanzügen und den Masken, ihre Ruten haben sie anderen „in die Fenster gestellt“. Stattdessen gab es ganz echt am Abend des 6. Dezember eine herzliche Umarmung und – Spaß muss sein – einen kleinen Klaps mit der Rute und das Stirnband ins Gesicht gezogen. Denn eigentlich sind die Krampusse unter ihren Masken ganz nette Burschen, die sich nur einen Jux daraus machen, andere zu erschrecken und ein Brauchtum der Adventszeit leben.
Wir haben noch ein kleines Video, welches am 06.12.2019 entstanden ist. Viel Spaß dabei: