Von   27. September 2015

Aufsteigen zum Runterkommen

Man könnte auch sagen: Gottesacker, der zweite Versuch. Das Terrain ist tückisch: Sehr schnell zieht hier Nebel auf. Auch ich war schon einmal wegen plötzlich aufziehenden schlechten Wetters an ihm gescheitert. Diesmal wollte ich es nun aber endlich wissen. Deshalb habe ich mich einem erfahrenen Bergführer der Bergschule Kleinwalsertal anvertraut. Wir treffen uns morgens um 9:30 Uhr an der Ifenbahn. Die Gruppe ist sehr klein gehalten und besteht nur aus sechs Personen.

Nach der Auffahrt mit dem Sessellift beginnt der schweißtreibende Aufstieg über teils asphaltierten, teils steinigen Weg. Schweißtreibend ist der Aufstieg allerdings nur, weil die Sonne schon früh zeigt, was sie kann. Das Tempo, welches unser Bergführer Thomas von der Bergschule Kleinwalsertal vorgibt, ist hingegen ein Gemütliches. Schon bald weicht Thomas vom Hauptweg ab und geht abseits über grüne Matten. Bei einem kurzen Halt erklärt er uns Interessantes zur Geologie von Hohem Ifen und Gottesackerplateau und Wissenswertes zur Botanik – inkl. Kräuterkunde.

Außerdem gibt er Sagenhaftes zum Besten:

Das wild zerklüftete Plateau war einst eine schöne grasreiche Alpe, auf welcher das Vieh weidete und futterreichen Ertrag ergab. Ein Bettler hielt dort eines Tages um eine Gabe an, wurde aber mit Spott und Hohn abgewiesen. Da verfluchte er die Alpe, ein Erdbeben verschlang diese, Sturm und Regengüsse fegten und spülten Wald und Boden weg. Statt der sattgrünen Wiesen erstreckte sich fortan eine Felsenwüste, die den Namen Gottesacker erhielt, was ein altes Wort für Friedhof ist.

Nüchterner sieht es freilich die Wissenschaft:

Aus dem Urmeer wurden während der letzten 100 Millionen Jahre die Gesteinsschichten durch die Kontinentalverschiebung übereinander gefaltet. Gottesackerplateau und auch der Hohe Ifen gehören zum Helvetikum, der Flysch wurde hier durch den Einfluss des fließenden Wassers und der Eiszeiten abgeräumt. Aufgrund der guten Löslichkeit des Kalks in sauren Niederschlägen ist die ausgeprägte Verkarstung in Form von Spalten, Dolinen und ganzen Höhlensystemen eine geologische Besonderheit. Oberflächenwasser gibt es hier oben nicht. Das Plateau ist jedoch alles andere als öde. In den kleinen Felsvertiefungen sammeln sich in einer dünnen Humusschicht Feuchtigkeit und eingewehter Samen und so kann man eine einzigartige Flora bestaunen und wundert sich, wie in so einer eigentlich feindlichen Gegend Leben besteht.

Zurück zu meiner Wanderung: Der weitere Weg führt uns über steiniges Gelände, Thomas nennt das einen Test für das bevorstehende Plateau, was für allgemeine Erheiterung sorgt. Irgendwann lenkt er uns wieder auf den Hauptweg, wo unsere kleine Wandergruppe nun nicht mehr allein unterwegs ist. Auch andere Wanderer sind mit uns auf dem Weg, um ein einzigartiges Naturbauwerk sehen zu können. Wir steigen noch eine ganze Zeit aufwärts und ich passiere dabei auch die Stelle, an der ich im September 2010 abbrechen musste. Mein Gott, wie mein Herz plötzlich schlägt!!!

Nachdem wir im Bogen um den (nur im Winter) bewirteten Bergadler herum gelaufen sind, liegt es endlich vor uns: das sagenumwobene Gottesackerplateau. Eine Steinwüste, zu der mir nur ein Wort einfällt, welches mir im Moment des ersten Anblicks über die Lippen stolpert: “Wow”! Gleich hinter dem Bergadler blicken wir in eine tiefe Spalte, von denen es hier oben Unzählige gibt und die im Nichts zu enden scheinen. Das gesamte Plateau ist quasi “unterkellert”, es gibt unzählige Höhlen in diesem Gebiet, die größte ist das Hölloch.

Seit 1906 wird das gesamte Höhlensystem erforscht, ca. 10.000 m sind bis jetzt begangen, das Labyrinth stellt die Höhlenforscher immer wieder vor neue Herausforderungen.

Der Wanderer jedenfalls sollte unbedingt aufpassen, wohin er tritt und sich jeden Schritt auf dem zerklüfteten Plateau genau überlegen. Das macht zwar ein flüssiges Wandern unmöglich, dient hier oben aber der eigenen Sicherheit, denn nichts wäre hier fataler als ein verstauchter Knöchel oder gebrochener Fuß. Obwohl alle paar Meter bestens markiert, sollte diese Tour unbedingt nur bei gutem Wetter und absolut klarer Sicht unternommen werden. Das Ganze mit der Bergschule unter erfahrener Anleitung durchzuführen, kann ich nur empfehlen. Es ist interessant und informativ, und vor allem ist es unter fachkundiger Führung weitgehend sicher. Bei einer gemütlichen Brotzeit mitten auf dem Plateau können wir die Eindrücke auf uns wirken lassen.

Ich bin tief beeindruckt und mir fällt eine Passage aus meinem Lieblingslied des bayrischen Liedermachers Werner Schmidbauer ein: “A steiler Weg da aufi, jetz bin i drobn, das is, was zählt, verschwitzt und schwer am Schnaufn, schau i oben auf die Welt, und ois wos i grad hörn ko, is das Bumperln von mein Herz, i bin alloa und i bin gern do und mei Blick geht himmelwärts, i bin herobn, endlich wieder herobn.” Freilich bin ich nicht allein da, aber das tut der Schönheit keinen Abbruch. Nach der gemütlichen Rast steigen wir noch zum Hahnenköpfle auf, am Gipfelkreuz (2.143 m) tummeln sich so viele Aussichtshungrige, dass es Mühe macht, ein vernünftiges Gipfelfoto zu schießen. Thomas will uns zeigen, dass man von hier bis zum Bodensee sehen kann, heute leider nicht, denn wieder schlägt plötzlich das Wetter um.

Wie im letzten Jahr ist der Ifen innerhalb kürzester Zeit in Wolken gehüllt und ich habe ein Déjà-vu. Hatten wir das alles nicht schon einmal? Liegt es etwa an mir? Es wird windig, die Wolken ziehen schneller und aus der Ferne grollt der Donner. Thomas mahnt zum Abstieg und wählt wieder einen Weg abseits des allgemeinen Pfades. So steigen wir direkt unter dem Hahnenköpflelift entlang der Ifenhütte entgegen. Ich habe das Gefühl, der Weg ist kürzer, denn in Null-komma-Nichts ist die Hütte zu sehen. Für allgemeine Aufregung während des Abstieges sorgt die Sichtung einer Gams, die direkt an der Ifenwand auszumachen ist.

Murmeltiere waren leider nicht zu sehen, dafür aber umso öfter zu hören.

Leider werden wir auf den letzten Metern doch noch nass, um uns herum tobt mittlerweile ein Gewitter. Wir kehren in der Ifenhütte ein, denn auch der Lift hat wegen des Wetters vorübergehend seinen Betrieb eingestellt. An der Ifenhütte wartet allerdings noch ein kleines Schmankerl, welches auch bei schlechtem Wetter gut begangen werden kann, denn es gibt viel zu sehen auf dem gut begehbaren Panoramaweg mit Ruhebänken, der in einer knappen halben Stunde zu einem verschwiegenen Aussichtspunkt unterhalb des Ifen führt und die Wanderer mit üppiger Alpenflora belohnt. Ein fantastischer Blick ins Tal entschädigt hier für so manches gescheiterte Vorhaben oder belohnt zum krönenden Abschluss noch einmal für das Geleistete.

Für uns dauert es eine ganze Weile, bis sich das Wetter beruhigt, aber die Gruppe sitzt warm und trocken in der gemütlichen Hütte bei Kaffee und Bier. Nach einer Weile nimmt der Lift seinen Betrieb wieder auf und wir können abfahren. Thomas verabschiedet sich von uns und ich kann ihm an dieser Stelle nur nochmals danke sagen für einen gelungenen Tag.

Da es aufgehört hat zu regnen, entscheide ich mich, nach Riezlern zurück zu laufen. Ich suche mir also den Wegweiser Richtung Wäldele und laufe los. Es erwartet mich ein gemütlicher Wanderweg. Im Wäldele steht plötzlich auf einer Anhöhe mitten in der Wiese eine kleine Kapelle, die mich magisch anzieht. Ein Schild weist den Walser Kulturweg aus und ich habe die Bruder-Klaus-Kapelle erreicht. Zeit zum Innehalten. Dem Wegweiser nach Riezlern weiter folgend, erreiche ich den Naturerlebnispfad Schwarzwasserbach. Wild romantisch rauscht unter mir, mich immer begleitend, der Schwarzwasserbach in seinem Bett. Ein großer Wasserfall zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich bleibe ein wenig stehen und lasse das Naturschauspiel auf mich wirken. Der Weg trägt seinen Namen völlig zu Recht, hier kann man Natur im wahrsten Sinne des Wortes erleben.

Weiter am Sportplatz und am Bikepark in der Au vorbei, wo Jugendliche ihr Können mit dem Mountainbike ausprobieren, erreiche ich die Straße. Jetzt könnte und wollte ich eigentlich auch dem Weg weiter folgen und bis zur Naturbrücke in Egg weiterlaufen. Es regnet aber mittlerweile wieder ziemlich stark, so dass ich nun doch ab Au den Bus nehme und zurück nach Riezlern fahre. Ein schöner Wandertag nimmt so dann doch relativ feucht von oben sein Ende, aber wie heißt es so schön: “Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur die falsche Kleidung.” Und die Aufrüstung meiner Regenbekleidung vor dem Urlaub hat sich heute dicke bezahlt gemacht.

Nehmen Sie sich für die Erkundung des Gottesackers ruhig einen ganzen Tag Zeit und genießen sie diese Show der Natur bei stabilem und schönem Wetter.

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