Von   27. September 2015

Der Tag begrüßt mich mit Sonnenschein – perfekt für meine erste richtige Tour im Kleinwalsertal. Nach einem reichhaltigen und ausgiebigen Frühstück fahre ich mit dem Walserbus der Linie 1 nach Mittelberg. Ich will mit der Bergbahn hinauf zum Walmendingerhorn. Dank meiner Gästekarte, auf der das Paket “Bergbahn inklusive” aufgebucht ist, ist das „Rauf auf den Berg“ sehr bequem. Ich kann unmittelbar zum Drehkreuz gehen, muss nicht erst anstehen, um ein Ticket zu lösen. Die Walmendingerhornbahn dient mir also nun als bequeme und angenehme Aufstiegshilfe, die mich gemütlich auf den „Berg der Sinne“ gondelt. Seltsam, ich bin schon so oft Bergbahn gefahren, es bewirkt immer noch ein Kribbeln im Bauch. Oben angekommen, gehört natürlich ein Abstecher zum Gipfel dazu. Der Weg, der von der Bergstation in Serpentinen leicht wanderbar in gut 10 Minuten geradewegs nach „ganz oben“ zum Gipfelkreuz führt, ist als Alpenblumenlehrpfad angelegt. Auf Tafeln, die am Wegesrand angebracht sind, wird die Alpenflora erklärt. Die Beschreibungen werden je nach Jahres- und Blütezeit aktuell gehalten.

Auf dem Gipfel angekommen, folgt ein mir lieb gewordenes Ritual: „Arm in Arm“ mit dem Gipfelkreuz genieße ich die traumhaften Fernsichten auf unendlich viele Bergspitzen, deren Namen ich teilweise (noch) gar nicht kenne. Der 360° Rundumblick total ist immer wieder toll, besonders die Ansicht des schrägen Gipfeldaches des Ifen – welches man von hier in seiner ganzen Pracht bewundern kann – strahlt etwas aus, was ich nicht in Worte zu fassen vermag.

Satt sehen kann ich mich hier oben eigentlich nicht, ich will aber auf Tour, muss mich deshalb irgendwann lösen. Also wieder abwärts in Richtung Bergstation. Auch hier lohnt es sich, ein wenig zu verweilen. Dem Neugierigen bietet sich noch einmal ausreichend Nahrung für die Sinne. Nehmen Sie Platz in den Liegestühlen auf der windgeschützten Sonnenterrasse und hören Sie dem beruhigenden Plätschern des Brunnens zu, der vom einheimischen Künstler Detlef Willand gestaltet wurde. Die drei aufgeschichteten Steinmänndle stellen die Berge Widderstein (Dolomit), Walmendingerhorn (Flysch) und Ifen (Helvetikum) dar, der gesamte Brunnen ist ausschließlich aus einheimischem Material gefertigt. Auch die Blicke auf die Landschaft fesseln wieder: hinunter nach Baad oder Riezlern, ins Alpgebiet Lüchle, ins Bärgunttal, auf die Schafalpköpfe – ich könnte so noch ewig aufzählen. Unbedingt besuchen sollten Sie aber den “Laufsteg ins Gipfelglück” – die spektakuläre Geoplattform gibt das atemberaubendste Panorama überhaupt hier oben frei: den freien Blick auf den “Höchsten” des Kleinwalsertales – den Großen Widderstein. “Auge in Auge” stehe ich ihm gegenüber, so nah, dass ich hinlangen möchte – und doch bleibt es beim Schauen und Genießen.

Und dann geht’s los. Die Schwarzwasserhütte ist mein Etappenziel. Da will ich hin! Ich laufe über die Obere Lüchlealpe und halte mich von da an immer an die Wegweiser zur Ochsenhofer Scharte und Schwarzwasserhütte. Der Weg wandelt sich bald in einen felsigen Bergpfad, der meine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Es geht förmlich über Stock und Stein und ich bin froh, meine Wanderstöcke mitgenommen zu haben. Wichtig ist jetzt auch das geeignete Schuhwerk, denn der Aufstieg zur Ochsenhofer Scharte hat begonnen. Ich kann den Wegverlauf ganz gut einsehen und muss ab und zu stehen bleiben. Nicht, weil die Kondition nicht reicht, obwohl man für diesen Weg schon fit sein sollte – nein, ich muss all die umwerfenden Landschaftseindrücke in mich aufnehmen und das geht nur, wenn man auch mal stehen bleibt und sich die Zeit nimmt, um zu genießen. Ich bin umgeben von Bergen, von den Hängen höre ich das Vieh, das auf der Alp seine Sommerfrische verbringt. Immer wieder muss ich mich auf den Weg konzentrieren und stehe irgendwann an der Ochsenhofer Scharte in 1.850 m Höhe – zwischen Ochsenhofer Köpfen und Grünhorn. Ich bin begeistert von den Ausblicken, auf der einen Seite auf den Weg, der hinter mir liegt, auf der anderen Seite hinunter ins Schwarzwassertal.

Berge verändern Menschen.  Ich mache immer wieder genau diese Erfahrung: Die Berge strahlen eine unglaubliche Kraft aus, die Landschaft eine wohltuende Ruhe. Im Alltag oft sehr gestresst, gelingt es mir hier innerhalb kürzester Zeit, vollkommen abzuschalten – das ist Entspannung pur. Das alles in sich aufzunehmen, kraftvolle Weite und die Schönheiten der Natur, die den Menschen auf angenehme Art und Weise in die Arme nimmt und gefangen hält, das ist, was mich immer wieder in dieses Tal zieht und wovon ich nicht genug bekommen kann.

Aber nun weiter – der Weg ist noch lang. Die Durchschreitung der eigentlichen Scharte erfordert die Zuhilfenahme der Hände, ist sie doch gerade mal vielleicht 30 bis 40 cm breit und hat eine hohe Steinstufe. Für diesen Moment und die nächsten fünf Meter fällt mir die in der Wanderkarte vermerkte Bezeichnung “mittelschwer – gestrichelt” ein, aber ich habe nicht viel Zeit zum Denken, denn auch der Abstieg erfordert zunächst viel Aufmerksamkeit, wird aber nach kurzer Zeit relativ entspannt und schlängelt sich in Serpentinen der Schwarzwasserhütte entgegen, welche sich im Besitz des Deutschen Alpenvereins befindet und bestens bewirtet ist . Dort angekommen, verschnaufe ich kurz, entscheide mich aber dann, weiter zur Alpe Melköde zu laufen und erst dort eine Rast zu machen. Es geht also weiter hinunter in den Talboden, wobei der Weg jetzt wieder mehr den Charakter eines Weges als eines Bergpfades trägt.

Als ich nach ca. 45 Minuten die Alpe Melköde erreiche, bin ich begeistert, wie romantisch sich hier alles zeigt. Hinter der Alpe der beeindruckende Wasserfall, daneben der relativ “junge” Schwarzwasserbach, und nach vorne der weite Blick ins offene Tal der Galtöde, die einst durch Felsabbrüche des Hohen Ifen entstanden ist und vollkommen unter Wasser stand. Das Wasser ist längst abgeflossen, übrig blieben die feuchten Wiesen, die nur einmal im Jahr im September gemäht werden. Die Alpe Melköde, die nur im Sommer bewirtschaftet ist, ist für mich der schönste Platz auf der Wanderung für eine Pause und Einkehr, es lohnt sich wirklich, hier länger zu verweilen.

Ab der Melköde befinde ich mich auch auf dem ”Schwarzwasserweg”. An verschiedenen Info-Säulen erfährt man Interessantes zu Schwarzwasserbach und Schwarzwassertal. Man sollte diesen Tafeln am Wegesrand durchaus Beachtung schenken und mal stehen bleiben, um sie zu lesen. So nimmt man, auch wenn man ohne Wanderführer unterwegs ist, etwas mit nach Hause, was einen die Landschaft, das “Wie und Warum” besser verstehen lässt. Besonders beeindruckend für mich war der mächtige Stock des Hohen Ifen und seine steil abfallenden Wände, die den Wanderer lange Zeit des Weges linker Hand begleiten.

Zwischendurch entscheide ich mich zu einem Stopp in purer Natur. Ich finde eine Stelle, wo ich problemlos direkt an den Schwarzwasserbach gelange, lasse mich auf einem großen Stein nieder und genieße mal wieder – die von den Bergen sprudelnden Wasserfälle, die Stille der Umgebung, einfach alles. Gesicht, Hände, Arme und Füße kühle ich mit der Frische des fröhlich vor sich hin plätschernden Gebirgsbaches und als ich auf dem großen Stein sitzend meine Wanderkarte studiere, stelle ich fest, dass ich gerade einen von vielen möglichen Abstiegswegen mit dem Ausgangspunkt Walmendingerhorn genommen habe. Auf einige weitere Möglichkeiten werde ich im Verlauf dieses Buches noch eingehen.

Das letzte Stück des Weges bis zur Auenhütte ist ein gut ausgebauter, breiter und gemütlicher Weg, der leicht zu meistern ist. Die Einkehr in der Auenhütte mit gemütlicher Sonnenterrasse belohnt für die angenehmen Strapazen.

Als Fazit des Tages bleibt Folgendes: Die Überschreitung der Ochsenhofer Scharte vom Walmendinger Horn über die Lüchlealpe und dann zur Schwarzwasserhütte und Melköde ist eine mäßig schwere Tagestour, die zumindest eine gewisse Grundkondition erfordert. Dennoch ist es absolut lohnenswert. Wer die Augen offen hält, kann viel Schönes entdecken, und wer mit dem Herzen und der Seele dabei ist, dem wird die Walser Bergwelt auf ca. 1.800 m ganz viel Kraft geben – so wie mir.

Der Fotoapparat sollte jedenfalls immer schussbereit sein, denn die etwa 4 – 5 Stunden dauernde Wanderung bietet während der 200 Höhenmeter Aufstiegsarbeit und etwa 800 Höhenmeter Abstiegsfreude jede Menge wunderschöne Motive. Mit ein wenig Kondition ist diese Tour während eines Tages gut zu bewältigen.

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