Von   27. September 2015

Wilde Breitachklamm – entdecke die Wege des Wassers 

Die erste Begegnung, es war Liebe auf den ersten Blick und ist eine Liebe für’s Leben geworden.

Ich lasse mich vom Walserbus bis zur Haltestelle Waldhaus bringen, um meine erste Wanderung zu unternehmen. Zunächst geht es etwas steiler von der Straße hinab in Richtung Waldhaus. Bald ist die Breitach, der Hauptfluss des Kleinwalsertales, zu hören, das laute Rauschen des Flusses weist den Weg. Am Waldhaus eine Einkehr, um mich mit einer tollen Brotzeit zu verwöhnen. Anschließend geht es auf den Weg.

Kurz hinter dem Waldhaus erreiche ich die Landesgrenze und muss ein Foto machen, damit ich meine grenzüberschreitende Wanderung auch beweisen kann. Man könnte meinen, ich umarme Österreich. Weiter geht es entlang der Breitach, der ich in ihrer natürlichen Fließrichtung folge, weil ich meine Wanderung im Kleinwalsertal begonnen habe. An der großen Steinmännlekolonie mache auch ich Halt und probiere mich im Bauen eines Steinmännles aus. Es erfordert sehr viel Geduld und Geschick und zu mehr als einer Miniversion reicht es nicht, aber immerhin bleibt es stehen.

Weiter geht es auf gemütlichem Weg, das türkisfarbene Wasser gibt die Richtung vor. Und dann wird es plötzlich spannend. Das Flussbett wird schmaler, das Tosen lauter und ich habe einen eisernen Steg vor mir, der förmlich an den Fels getackert scheint. Mutig erklimme ich die Stufen, überquere die Brücke und wage ab und zu einen Blick durch die Eisengitter bzw. über das Geländer nach unten. Dieser Blick verursacht ein Kribbeln und macht einen Vorgeschmack auf ein einzigartiges Naturdenkmal, die tiefste und auch eine der schönsten Felsenschluchten Mitteleuropas.

Ihre Entstehung begann in der letzten Eiszeit, als der abschmelzende Breitachgletscher anfing, den Schrattenkalk des Engenkopfes durchzusägen. Im Jahre 1905 wurde das Naturwunder von einmaliger Schönheit und Größe auf Anregung des Tiefenbacher Pfarrers Johannes Schiebel zugänglich gemacht. Heute zieht die Breitachklamm jährlich über 300.000 Besucher in ihren Bann. Ein Besuch lohnt sich zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Ein gesicherter, gut begehbarer und größtenteils stufenloser Wanderweg führt den Besucher durch dieses 2,5 km lange einmalige Naturerlebnis. Man staunt, was man mit ein wenig Phantasie hier alles entdecken kann. Wer kennt z. B. den Mann im Fels?

Bald schon bin ich mittendrin in der Schlucht und verstehe mein eigenes Wort nicht mehr, solch einen ohrenbetäubenden Lärm verursacht das in die Tiefe stürzende Wasser. Ich bin völlig gefangen und weiß gar nicht, wohin ich zuerst schauen soll. Das glasklare Nass stürzt donnernd über hohe Felsbänke, gurgelt in tiefen Gumpen und versprüht sich in feinste Tröpfchen, in denen das Licht spielt. Man bestaunt tiefe Schluchten, ausgeschliffene Wassermulden, glattpolierte Wandstücke und viele facettenreiche Gebilde, die während der letzten Jahrtausende durch die enorme Kraft des Wassers entstanden sind und sich bis 150 m tief in den Fels gegraben haben. Tiefgrüne Moose und zierliche Farne lieben die Feuchtigkeit und einige unerschrockene Fichten haben sich kühn auf kleinsten Felsvorsprüngen angesiedelt.

Immer tiefer geht es hinein in die Klamm, die Eindrücke werden immer gigantischer. Irgendwann passiere ich die Stelle des großen Felssturzes aus dem Jahr 1995. Einmal mehr hat die Natur hier auch gezeigt, dass sie trotz ihrer Schönheit auch eine sehr zerstörerische Kraft haben kann. Im September 1995 kam es zu einem großen Felssturz, in dessen Folge so viel Fels und Geröll zu Tal donnerten, dass es zu einem Wasserstau von etwa 30 m Höhe kam. Im März 1996 brach dieser dann durch, wodurch die Klamm völlig verwüstet wurde. Einen kleinen Eindruck davon kann man noch heute mitnehmen, wenn man die großen Felsbrocken sieht, die herab gerutscht sind und die vielen Baumstämme, die verkeilt zwischen den Felsen klemmen. An den engsten Stellen der Schlucht, dort wo ich die gegenüber liegenden Felsen problemlos berühren kann, haben die düsteren Wände noch nie die Sonne gesehen, an anderen Stellen blitzt diese durch die Bäume und es entsteht in einzigartiger Weise ein Spiel mit Licht und Schatten.

Am unteren Ende der Klamm, wo sich das Gelände öffnet und das Tal weiter wird, gehe ich bei einer kleinen Kapelle nach links Richtung Dornach-Alpe. Vorbei an der Alpe und den großzügigen Weideflächen werden Durchblicke in die Oberstdorfer Bergwelt möglich. Dann wandere ich weiter zum Zwingsteg, der einen atemberaubend tiefen Blick in die Klamm erlaubt. Hier wird einem klar, wie tief die Schlucht wirklich ist und Zeit bekommt eine völlig andere Dimension. Die Vergänglichkeit hat plötzlich nahe Grenzen. Wasser hingegen scheint ewig zu fließen. Nichts bleibt gleich, der Wandel vollzieht sich jede Sekunde, jede Stunde, jeden Tag.

Vom Zwingsteg aus wandere ich steil zur Walserschanz hinauf. Von dort bringt mich der Bus wieder zurück nach Riezlern.

Das war der erste Tag, die erste Begegnung mit dem Kleinwalsertal. Dass diesem Tag noch unendlich viele weitere folgen sollten, einer schöner als der andere, war da noch nicht abzusehen. Heute bin ich sehr glücklich über diese erste Begegnung und freue mich sehr, wenn Sie, liebe Leser, mich von nun ab bei meinen Erlebnissen begleiten und vielleicht das nachempfinden können, was ich immer wieder auf’s Neue fühle.

Was nach diesem Tag bleibt, ist der Wunsch, dieses Naturschauspiel auch einmal im Winter bewundern zu können, wenn sich das alles in einen verzauberten Eispalast verwandelt.

Hier geht’s zu den Bildern:

Galerie