Der Aufstieg über die Muttelbergscharte und die Ochsenhofer Köpfe war heute mein Tagesplan. Also fahre ich zunächst mit der Linie 1 des Walserbusses nach Mittelberg und benutze zunächst die Walmendingerhornbahn als angenehme Aufstiegshilfe auf 1.940 m. Heute lasse ich den Gipfelweg links liegen, ich will Kräfte sparen für die Herausforderung des Muttelberggrates. Dieser ist mit „blau = schwer“ markiert und der Hinweis „nur für Geübte“ am Wegweiser spricht eine deutliche Sprache. Nun, alpine Erfahrung habe ich genug, trittsicher bin ich auch, also auf geht’s. Dennoch sollte es anders kommen. Zunächst erwartet mich ein sehr langer Anstieg auf breitem Wiesenweg, der schließlich in einen Bergpfad übergeht. Auch hier fühle ich mich – wie bisher immer in meinen geliebten Walser Bergen, wohl und sicher.
Erst als ich unmittelbar in den Muttelberggrat einsteigen will und sehe, was nun auf mich zukommt, komme ich ins Grübeln. Es geht über sehr felsiges Gelände und durch den vorangegangenen Regen ist es allgemein etwas glatt. Jetzt heißt es eine Entscheidung fällen: Soll ich auf das Teufelchen in mir hören und meinem Drang nach dem Abenteuer Höhe nachgeben oder höre ich lieber auf das Engelchen und lasse die Vernunft walten? Ich bin ganz allein hier oben, das Wetter sehr unsicher, wenn ich jetzt hier abrutsche, was dann? Allein ein Umknicken reicht, um aus dem Bergspaß ein Bergchaos werden zu lassen.
Obwohl ich über genügend Erfahrung verfüge und mich eigentlich meistens sicher fühle, höre ich auf das Engelchen in mir und bleibe vernünftig. Vernünftig heißt im diesem Falle dann eben Abbruch der Gratbegehung und Umkehr. Es ist keine Schande, gerade in den Bergen, auch einmal umzukehren, wenn man das Gefühl hat, es sei besser so. Glauben Sie mir, sich unnötigen Gefahren auszusetzen und sich im Hubschrauber vom Berg herab fliegen lassen zu müssen, ist nicht Sinn und Zweck eines erfüllten Urlaubes – und das Kleinwalsertal ist viel zu schön, als mit gebrochenem Fuß die Tage nur noch im Urlaubsquartier verbringen zu müssen, abgesehen davon, dass noch viel Schlimmeres passieren kann.
Nun, wieder am Hauptwegweiser angekommen, verfolge ich dennoch mein Tagesziel, die Ochsenhofer Scharte, allerdings wieder auf dem Weg über die Lüchlealpen. Dieser ist weniger schwer, zwar auch rutschig, aber lange nicht gefährlich, und ich erreiche sicher und glücklich die Ochsenhofer Scharte. Hier muss ich zunächst wieder die Blicke genießen und ein wenig verweilen. Wie im letzten Jahr verzaubert der Blick hinunter zur Schwarzwasser-hütte und in die Galtöde, von wo man die Schellen der Kühe läuten hört, die dort ihre Sommerfrische verbringen. Auf der anderen Seite schaut man hinunter nach Baad und ins Duratal, das Bergpanorama verzaubert ein ums andere Mal. Ich atme tief durch und spüre, wie eine ungeheure Kraft meinen Körper durchströmt. Ich tanke wieder – hoffentlich kann ich diese Kraft wieder recht lange festhalten.
Und dann mache ich mich an den Abstieg. Wieder entdecke ich einen neuen Weg – den Weg ins Duratal. Ganz allein bin ich unterwegs, als ich über die Starzelalpe (1.678 m) und die beiden Dura-Alpen laufe und in das Dura- oder Starzeltal eintauche. Dabei erlebe ich die Geburt des Durabaches und wilde, unberührte Landschaft, bis ich am Ende dieses Weges am Starzelhaus in Baad wieder in die Kleinwalsertaler Zivilisation eintauche.
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