Von   11. November 2016

Der Zollanschlussvertrag und seine Vorgeschichte

oder

Warum es im kleinen Walsertal keinen Tanktourismus gibt

Im Mai 2016 jährte sich das Erfolgsmodell Zollanschlussvertrag zum 125. Mal. Durch diesen Vertrag wurde die österreichische Enklave, die auf dem Straßenweg nur über Deutschland zu erreichen ist, zum deutschen Wirtschaftsgebiet. Grenzübertritt ohne Zollkontrollen, Bezahlen mit der Deutschen Mark, zwei Postleitzahlen, zwei Telefonvorwahlen – diese und weitere Kuriositäten sind oder waren für die Walser aus österreichischem Staatsgebiet Alltag.

Die Bemühungen der Bewohner des Kleinwalsertals um die Klärung der walsertalZollfrage für die Ausfuhr von Waren ins Königreich Bayern prägten fast das ganze Jahrhundert, da nach den Grenzziehungen in Folge des Wiener Kongresses und die Errichtung einer Zollschranke – die königlich-bayerische Mautstation in Oberstdorf wurde bereits 1814 errichtet – der über Jahrhunderte übliche Handel mit dem benachbarten Allgäu immer größeren Einschränkungen unterworfen war.

1833 wurde der Deutsche Zollverein gegründet und der sogenannte „Zollvereinigungsvertrag“ trat am 01.01.1834 in Kraft. Gemeindevorsteher Franz Leopold Köberle suchte bei der Österreichischen Regierung das erste Mal um Entlassung aus dem Zollverband an. Der Wunsch blieb allerdings ohne Erfolg. 1836 beschwerte sich die Gemeinde Mittelberg über das Zollwesen. Als Ersatz wurde den Walsern der Transitverkehr über Bayern von und nach Tirol erlaubt. Er war allerdings beschränkt und erlaubte nur die Durchfuhr von Vieh, Schmalz, Käse, Wein, Branntwein, Eisen, Wurzeln und Wildbret.

Ein neuerliches Gesuch der Gemeinde Mittelberg um eine Entlassung aus dem österreichischen und Eingliederung in den deutschen Zollverband blieb 1849 ohne Erfolg. Nichtsdestotrotz erlebte das Kleinwalsertal ab der Mitte des 19. Jahrhundert eine Zeit der wirtschaftlichen Blüte. Dazu trug vor allem der geregelte Transitverkehr aus Tirol und Vorarlberg durch bayerisches Gebiet bei, der unter Geleit von Zollorganen erfolgte. Die Situation veränderte sich jedoch schlagartig, als Bayern seine bisherigen Zollbeschränkungen 1878 verschärfte und den Walser Landwirten den Viehverkauf im benachbarten Allgäu untersagte, obgleich dies seit Jahrhunderten üblich gewesen war.

Die Landwirte waren nun gezwungen, ihr Vieh über Berge und Pässe zu den Vorarlberger Märkten zu treiben. Da das Zurücktreiben des Viehs zu aufwändig und unwirtschaftlich war, verkauften die Landwirte ihre Tiere zu aktuell gebotenen Preisen, die auch sehr ungünstig sein konnten. Die Gemeinde Mittelberg intensivierte aufgrund dieser Entwicklungen ihre Bemühungen für die Erlangung des Status eines Zollausschlussgebiets. 1880 wurde der aus Mittelberg stammende Jurist Dr. Tiburtius Fritz damit beauftragt, die Verhandlungen bei den zuständigen Ministerien in Wien einzuleiten. Insgesamt musste er in den folgenden zehn Jahren ganze 64 Mal in Wien vorsprechen. Das Projekt drohte an den österreichischen Stellen zu scheitern, die sogar teure Bauprojekte für eine Verbindung mit Österreich bevorzugten.

Schließlich begannen jedoch ernsthafte Verhandlungen, zu denen die österreichische und die bayerische Regierung dank des Einsatzes der Gemeinde Mittelberg fast gezwungen worden waren. Die Bemühungen waren letztlich erfolgreich, indem am 2. Dezember 1890 die Verträge in Wien unterzeichnet wurden und der Zollanschlussvertrag am 1. Mai 1891 in Kraft treten konnte.

Der Zollanschluss an Deutschland brachte die Wirtschaft in Schwung. Und er spielt bis heute eine Rolle, trotz des Beitritts Österreichs zur EU vor mehr als 20 Jahren, wobei das Tal als deutsches Wirtschaftsgebiet bereits seit 1957 mit dem Beitritt Deutschlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der Gemeinschaft angehörte.

Aufgrund der geografischen Besonderheiten des Tals beziehen die Bewohner den Großteil der Waren aus Deutschland, so auch das Benzin, wobei die Mineralölsteuer nach Deutschland fließt. Obwohl in Österreich selbst der Sprit billiger ist, ergibt sich für das Tal dafür ein Vorteil: Es gibt keinen Tanktourismus, was ein entscheidendes Plus ist, da die einzige ins Tal führende Straße ohnehin schon sehr belastet ist.

In den meisten Geschäften erhält man neben den spezifischen regionalen im Tal selbst erzeugten Produkten überwiegend deutsche Produkte. Wenn man österreichische Waren anbieten oder erwerben will, sind diese teilweise zu verzollen. Betroffen davon sind vor allem Produkte, die mit Verbrauchssteuer wie Kaffee- oder Sektsteuer belegt sind.

Und es ergibt sich noch ein anderer Vorteil für die Talbewohner: Sie zahlen wie in Deutschland 19 % Mehrwertsteuer, obwohl in Österreich eigentlich 20 % erhoben werden. Damit sind die Walser vor allem gegenüber dem bayrischen Oberstdorf konkurrenzfähig.

Dass sich das Kleinwalsertal nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Bankenplatz entwickelte, hängt wieder mit dem Zollanschlussvertrag zusammen, denn mit der Währungsreform 1948 wurde die Reichsmark durch die D-Mark abgelöst und viele deutsche Besucher verbanden ihren Urlaub mit Bankgeschäften. Die Möglichkeit, anonym ein Konto zu eröffnen, wurde allerdings Mitte der 90er Jahre abgeschafft.

In diesem Jahr feiert das Kleinwalsertal das 125-Jahr-Jubiläum dieses Vertrages, der sicherlich auch zum wirtschaftlichen und touristischen Aufschwung des Tales beigetragen hat.

In einer Sonderausstellung „125 Jahre Zollanschlussvertrag: Österreichische Gendarmerie – Deutsche Zöllner“ werden nun der Staatsvertrag zwischen Deutschlang und Österreich sowie die damit verbundenen Auswirkungen beleuchtet. Die von der Gemeinde Mittelberg initiierte Ausstellung kann bis November 2017 täglich in der Sternpassage in Riezlern besucht werden. Ein interessanter Blick in die aufregende Zeitgeschichte des Tales.