Die Hörnlepassrunde und ein spektakulärer Abstieg von der Gehrenspitze
Als ich am Morgen nach meinem ersten Klettersteigerlebnis im Kleinwalsertal erwache, merke ich Muskeln, von denen ich gar nicht wusste, dass ich die überhaupt habe. Ich habe mir einen sauberen Muskelkater eingefangen. Und was tut man gegen Muskelkater, damit man ihn so schnell wie möglich wieder los wird? Bewegen – ist doch klar! Ich sage ihm den Kampf an! Der Himmel ist stark bewölkt und ich entscheide mich, eine Tour zu vollenden, die ich im vergangenen Jahr bereits begonnen hatte: Die Hörnlepassrunde. Also nehme ich wieder den Bus in die Schwende und laufe gemütlich in Richtung Gasthof Hörnlepass – genau das Richtige heute, um gegen den Muskelkater anzugehen.
Am Alpengasthof Hörnlepass muss ich wieder bremsen, um Christines Alpenkräutergarten zu besuchen. Wie das wieder alles blüht und duftet – es ist jedes Mal eine Augenweide. Am Kraftfeld lehne ich mich an den großen Findling und spüre so etwas wie eine gewisse Macht, die mich urplötzlich in die Arme nimmt. Es hält mich völlig gefangen und ich muss einige Zeit verweilen, um das, was ich spüre und nicht beschreiben kann, in mich aufzunehmen. Doch bald zeigt sich das Wetter launisch und es bleibt mir nichts weiter übrig, als die Regenausrüstung anzulegen und mich auf den Weiterweg zu machen.
Weit ist es nicht, bis der rot-weiß-rote Grenzstein im Außerwald passiert ist und ich den Bächteletobel erreiche. Hier gerät manch einer vor lauter Schönheit und wilder Romantik der Natur ins Träumen – so soll es doch sein, oder? Weiter geht es dann in Richtung Osterbergalpe – bei dieser Landschaft ist mir nicht nach Reden, still genieße ich das Erleben.
Immer wieder ändert sich der Blick. Es werden bisher noch nicht gekannte Panoramablicke in die Bergwelt des Kleinwalsertals und die Oberstdorfer Berge möglich und ich erlebe völlig neue Perspektiven. Wie so oft komme ich nicht vorwärts, weil ich immer wieder gebremst werde, da ich unzählige Fotos und Videoaufnahmen machen muss, um das alles einfach nur festzuhalten.
Der Wanderweg der Hörnlepassrunde gehört zu den 8 Wegen des Walser Omgangs, der mit dem Namen „Entdecke Verborgenes“ neugierig macht und wo man sich auf einen beinahe meditativen Weg begibt, ein Weg, der den Menschen zu sich selbst zurück führt. Und während ich mich ganz allein über Hinterenge, Fuchsloch und Ewigkeit in einem großen Bogen wieder in Richtung Schwende bewege, reißt der Himmel auf, wird himmlisch blau und von Schäfchenwolken untermalt. Die Sonne taucht das Land in ein wundersam goldenes Licht und die farbenfrohe Landschaft wird nur noch von dem einen oder anderen schönen Ausblick auf die umgebenden Berge getoppt.
Hier geht’s zu den Bildern der Hörnlepassrunde:
Nach etwa 3 ½ Stunden bin ich über den Straußbergweg zurück in der Schwende in Riezlern und verspüre plötzlich die große Lust, meinem Muskelkater richtig zu zeigen, was es heißt, mich zu piesacken. Gedacht, getan – auf zur Kanzelwandbahn, rauf auf den Berg und das schöne Wetter des Nachmittags in vollen Zügen auskosten.
Gestern war die Gehrenspitze wegen fehlender Sicht gescheitert, jetzt sollte sie „fallen“. An der Kanzelwand-Bergstation gehe ich unmittelbar nach links und zum Aussichtspunkt Rote Wand. Auch hier faszinieren mich wie bereits im letzten Jahr das traumhafte Panorama und der grandiose Blick auf mein geliebtes Kleinwalsertal, welcher schöner nicht sein könnte. Eine Explosion der Farben hält mich fest, die Alpenflora Anfang Juli zeigt, was sie alles kann. Das Gras ist hier eben immer ein bisschen grüner, der Himmel blauer, die Sonne heller und die Blumen bunter als anderswo.
Dann aber geht es los – auf einem schmalen Gratweg zur 1.857 m hohen Gehrenspitze. Schwindelfrei bin ich – Gott sei Dank – und auch trittsicher, und das ist bei diesem schmalen Grat unbedingt notwendig. Man sollte sich auf diesen Weg nur bei absolut guter Sicht machen – Sichtbehinderung durch Nebel macht den alpinen Pfad schnell unkalkulierbar. Besser noch ist es, zum einen auf gute Sicht und zum anderen auf Trockenheit zu warten, denn bedingt durch die Steilheit des Pfades ist es bei Feuchtigkeit auch glatt. Wichtig sind hier auch wieder unbedingt gute Bergschuhe.
Der schmale und sehr steile Bergweg fordert einmal mehr meine ganze Aufmerksamkeit und volle Konzentration, dennoch entdecke ich am Wegesrand wieder seltene Pflanzen und muss in sicherer Standposition die wunderschönen Türkenbundlilien fotografisch festhalten. Abwärts von der Gehrenspitze bewege ich mich nun in Richtung Riezleralpe, eine unbewirtschaftete Alpe in 1.526 m Höhe. Ich bin nun auf dem Riezler Alpweg unterwegs, relativ steil, von massig Wurzelwerk durchzogen und wieder nur mit entsprechender Trittsicherheit zu begehen. Da es ja heute Morgen noch geregnet hatte, hatte ich mit erhöhter Rutschgefahr zu kämpfen – und ins Rutschen kommen sollte man hier nicht unbedingt. Deshalb – nochmals mein eindringlicher Tipp: Den Grat Gehrenspitze und den Riezler Alpweg nur bei guter Sicht und Trockenheit begehen, um dieses einmalige Spiel der Natur wirklich genießen zu können.
Mitten im Wald fesselt mich plötzlich eine Bank – unter einem Baum, wie ich ihn noch nie gesehen habe: Knorrig, verwachsen, sicher 100 Jahre alt, ein echter Charaktertyp. Der Wind säuselt in seinen starken Ästen, manchmal ächzt er schwer. Ich muss Halt machen, unzählige Fotos schießen und gönne mir eine ausgiebige Pause unter diesem hölzernen Urgestein. Und eins weiß ich in diesem Moment: Eine dieser Fotoaufnahmen gehört ins Kleinwalsertaler Fanalbum – das ist sicher. Es fällt mir schwer, mich von diesem tollen Platz zu lösen, aber ich habe noch ein gutes Stück Abstieg vor mir und muss deshalb doch irgendwann weiter.
Der knorrige Typ bleibt zurück, während sich mein Traumpfad weiter talwärts schlängelt. Auch der Wind bleibt oben, die Geräusche verstummen. Nur noch das fröhliche Zwitschern der Vögel begleitet mich.
Als ich nach einer ganzen Weile des steilen Abstieges aus dem Wald heraus trete und die Wiesen erreiche, liegt mir wieder einmal ganz Riezlern zu Füßen. Ich habe den Riezler Höhenweg erreicht und entscheide mich „quasi zum Auslaufen“, diesem noch bis zu seinem Ende zu folgen. Gegen die heiß gelaufenen Füße hilft eine Kneippkur im Wassertretbecken, bevor ich es auf schönem Spazierweg mit Blick auf Riezlern gemütlich ausklingen lasse. Alle paar Meter lädt eine neue grüne Ruhebank zum Niederhocken ein. Am Ende des Riezler Höhenweges mache ich noch Halt auf meiner Lieblingsbank und genieße wie so oft den Blick ins Tal. Ich fühle mich einfach nur noch wohl und bin froh und glücklich, heute bei dann doch noch bestem Wetter so viel Schönes gesehen zu haben.
Hier geht’s zu den Bildern des Riezler Alpweges über die Gehrenspitze: