Bergretter – engagierter Einsatz im Dienst der Menschen
„Bei jedem Wetter zu jeder Zeit wachsam und bereit“
(Spruch an einer Bergwachthütte)
Karfreitag des Jahres 2019: Während wir auf unserem Balkon in der Sonne sitzen und uns von einer Schneeschuhtour ausruhen, fällt am Himmel ein Hubschrauber auf. Nun ja, Hubschrauber am Kleinwalsertaler Himmel sind an sich ja nichts Besonderes. Doch diesmal scheint es ein wenig anders zu sein. Immer und immer wieder fliegt er hinauf zu Ifen und Gottesacker. Als wir auch noch spät am Abend das Geräusch der Rotoren hören, regt sich ein ungutes Gefühl. Hoffentlich ist da nichts Schlimmes passiert. Am nächsten Morgen sind die Hubschrauber wieder da – nicht nur einer, sondern zwei, drei oder vier. Das ungute Gefühl in der Magengegend verstärkt sich. Auf der Homepage der Bergrettung Kleinwalsertal ist die knappe Meldung zu lesen: „Aktuell sind wir in einem größeren Sucheinsatz am Ifen.“ Den ganzen Tag über landen die verschiedenen Hubschrauber draußen in Egg, wo sie aufgetankt werden – um anschließend gleich wieder in Richtung Ifen abzuheben. Am Abend des Ostersamstag dann kommt die Pressemeldung: „Vermisster Skitourengeher nach großer Suchaktion tot aufgefunden.“ Der Schock sitzt tief.
4. Juni 2019, ein strahlender Frühsommertag: Wir sind gerade dabei, uns auf unseren Termin mit der Bergrettung des Kleinwalsertales vorzubereiten, als die markante Sirene des Einsatzfahrzeuges zu hören ist. Kurz darauf kommt der Anruf, dass unser Interviewtermin verschoben werden muss. „Wir haben einen Einsatz, ist was Größeres und wahrscheinlich sehr schlimm, wir melden uns wieder.“ Noch am Abend erscheint die Pressemeldung über 2 vermisste Wanderer am Widderstein. Eine komplizierte und sehr aufwändige Suchaktion läuft an. 24 Stunden später ist es traurige Gewissheit: Ein Schneefeld wurde dem Paar zum Verhängnis. Ihnen konnte nicht mehr geholfen werden. Wieder Fassungslosigkeit.
Zwei sehr tragische Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Nicht immer läuft es so tragisch ab – solche Einsätze sind zum Glück selten. Aber es zeigt, womit sie konfrontiert werden …
Sie lieben was sie tun. Sie lieben die Elemente Fels, Wasser, Schnee und Eis. Sie lieben es, in ihren Bergen unterwegs zu sein, die sie wie niemand sonst kennen, und das bei jedem Wetter. Und sie sind sich ihrer Verantwortung bewusst.
Von wem wir hier reden? Von den Männern und Frauen der Bergrettung.
Auch im Kleinwalsertal gibt es eine Bergrettung. Diese besteht aus den beiden Ortsstellen Riezlern und Mittelberg-Hirschegg, die zusammen die Gebietsstelle Kleinwalsertal bilden.
Ein paar Tage nach dem großen Einsatz vom 04./05. Juni haben wir einen neuen Termin. 2 Mitglieder der Bergrettung nehmen sich die Zeit, um uns etwas über die Bergrettung selbst und über die verantwortungsvolle Arbeit zu erzählen. Vor mir sitzen 2 Männer, die quasi 3 Tage am Stück kaum noch zu Hause waren: der 35-jährige Sebastian Fauland, Gebietsstelleneinsatzleiter der Gebietsstelle Kleinwalsertal und Mitglied der Ortsstelle Riezlern sowie der 27-jährige Michael Hajek, Fahrzeugwart in der Ortsstelle Mittelberg-Hirschegg und stellvertretender Gebietsstellenleiter im Kleinwalsertal. Beide sind schon seit frühester Jugend dabei und wissen, wovon sie reden.
In beiden Ortsstellen sind etwa jeweils 50 Mitglieder organisiert, ein „harter Kern“ von etwa 20 Personen je Gruppe steht für Einsätze bereit. Ihr Einsatzgebiet umfasst das ganze Kleinwalsertal, aber bedingt durch die besondere Lage unterstützen sie auch ihre Kollegen in Oberstdorf oder „hinter den Bergen“ im Ländle, wenn dies nötig ist – und sie können sich genauso auch auf die Unterstützung dieser Kameraden verlassen, wenn sie selbst noch mehr Manpower brauchen.
Der österreichische Bergrettungsdienst des Landes Vorarlberg ist eine in der Rechtsform des Vereins gegründete gemeinnützige und freiwillige Rettungsorganisation, die in den Bergregionen einen sehr wichtigen und großen Teil im Rettungssystem einnimmt. Ihre Aufgabe ist es, ohne Ansehen der Art oder des Verschuldens der Notlage, Verunglückten, Vermissten oder sonst in Not geratenen Menschen zu helfen, sie zu suchen, zu versorgen und zu bergen. Sie übernehmen somit rettungsdienstliche Aufgaben in unwegsamem Gelände, abseits von Straßen und Wegen. Sie stellen den Rettungsdienst in Wintersport-, Kletter- und Wandergebieten sicher. Neben der eigentlichen Notfallversorgung des Patienten steht auch die Lösung der technischen Probleme des Abtransports im Gelände im Vordergrund.
Bergretter werden ist nicht schwer? Mag sein, dass das so ist, aber ganz einfach ist es sicher auch nicht. Mitbringen sollte man zumindest gewisse Grundkenntnisse und Sicherheit beim Bewegen im alpinen Gelände, Klettern in Fels und Eis sowie Skifahren sollte man schon können. Außerdem muss man natürlich die Berge lieben, man muss es mögen, auch bei widrigen Witterungsverhältnissen draußen unterwegs zu sein, denn der Notruf fragt nicht nach guten oder weniger guten Bedingungen, wenn der kommt, dann kommt er eben … Mit einem Erste-Hilfe-Grundkurs (wenn noch nicht vorhanden) startet die Ausbildung der jungen Bergretter-Anwärter. Es schließen sich ein Winter- und ein Sommerkurs an, gefolgt von einem alpin-medizinischen Grundkurs. Hat der Anwärter nach etwa 3 Jahren all das erfolgreich absolviert, darf er sich Bergretter nennen und der Ernst des Bergrettungsalltags beginnt.
Ihr seid in Bergnot – wisst ihr, was zu tun ist? Die Notrufnummer 144 gehört in jedes Handy gespeichert. Wer weiß schon, ob einem in solch einer Situation diese Nummer einfällt? Wählt ihr diese Nummer im Kleinwalsertal, landet der Anruf in der Rettungsleitstelle in Feldkirch, der Einzigen für das recht kleine Land Vorarlberg. Dort sitzt ein Disponent, der anhand eines vorgegebenen Schemas eine Reihe von Dingen abfragt und mit den erhaltenen Informationen dann die Rettungskette in Gang setzt. Die Kameraden der Bergrettung im Kleinwalsertal erhalten ihre Alarmierung inklusive einiger weniger Stichworte zum Einsatz via Pager und sind innerhalb von 10 min einsatzbereit.
Kein Einsatz ist wie der andere, erklärt Sebastian. Deshalb ist auch ein hohes Maß an Spontanität und Flexibilität gefragt. Wenn sie ausrücken, wissen sie oft nicht, was sie erwartet. Aber da sie sich ständig weiterbilden, können sie sich auf ihr Können und ihre Fähigkeiten verlassen und genau das abrufen, was es im konkreten Einzelfall braucht. Meist geht es bei den Einsätzen um Sucheinsätze sowie die Rettung bzw. im schlimmsten Fall Bergung verunglückter Personen in unwegsamem und alpinen Gelände oder um die Suche und Rettung bei Lawinenunfällen. Aber auch die Rettung aus Seilbahnen und Pistenrettungsdienste sowie Bereitschaftsdienst bei Veranstaltungen gehören beispielsweise zu ihren vielfältigen Aufgaben.
Unterstützt werden sie im Tal dabei von insgesamt 4 Notärzten und einer bestens ausgebildeten Hundestaffel mit Such- und Lawinenhunden. Für die professionelle Hilfe aus der Luft steht die Flugrettung mit grundsätzlich dreiköpfiger Hubschrauberbesatzung zur Verfügung.
Ist der Einsatz beendet, geht es zurück auf die Rettungswache, wo noch das Material gereinigt und wieder einsatzbereit gemacht werden muss. Immer wichtiger ist außerdem eine sehr ausführliche Dokumentation der Einsätze, denn leider kommt es immer häufiger vor, dass die Retter sich im Nachgang mit Klagen der Geretteten konfrontiert sehen.
Schließlich gibt es immer noch ein abschließendes Einsatzgespräch, wobei der gesamte Einsatz reflektiert und ausgewertet wird. Sie benötigen eine gewisse Distanz zu ihren Einsätzen, um am leider manchmal doch vorhandenen Elend nicht zu zerbrechen. Und sollte die psychische Belastung einmal doch zu groß werden, helfen Gespräche mit den Kollegen, die gleichzeitig meist auch Freunde sind, das Erlebte zu verarbeiten. Auch Kriseninterventionsteams stehen nicht nur den Geretteten, sondern auch den Rettern im Notfall zur Verfügung.
All das kostet Geld, viel Geld. Die Gebietsstelle Kleinwalsertal ist in der glücklichen Lage, Unterstützung zu haben durch die Gemeinde Mittelberg und durch die Bevölkerung des Tales. Auch aus dem großen Topf des Vorarlberger Rettungsfonds erhalten sie Mittel. Aber die Rettung durch den Bergrettungsdienst ist nicht umsonst. Jeder Patient erhält im Nachgang eine Rechnung für die Leistung – und wenn dabei der Hubschrauber mit abgehoben ist, kann es schnell teuer werden. Die Kosten eines Einsatzes können sich niedrig dreistellig, aber auch bis in hohe fünfstellige Beträge bewegen.
Allein in den ersten 6 Monaten dieses Jahres wurden die beiden Ortsstellen der Bergrettung Kleinwalsertal bisher jeweils ca. 20 x alarmiert, Tendenz steigend. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es sind immer mehr aktive Bergsportler unterwegs, die die Schönheit der Berge erleben wollen. Leider sind darunter aber auch immer mehr alpin Unerfahrene, die sich überschätzen, was dann Rettungseinsätze aus ausweglosen Situationen auch ohne Verletzung zur Folge hat. „Gerade in Zeiten von Notrufhandys und Hubschraubern trauen sich die Menschen oft mehr zu, als sie wirklich können. Wenn sie dann am Klettersteig weder vor noch zurück können, zücken sie ihr Handy – die Bergretter sind ja da.“
Auch unsere beiden Bergretter Sebastian und Michael freuen sich über das Interesse an der schönen Walser Natur, doch beide haben unisono einen Wunsch an alle Berggänger. Eine gründliche Vorbereitung auf jede Bergtour ist immens wichtig. Das beginnt mit dem Studium der Route, geht weiter mit dem Wetterbericht, gefolgt von der richtigen Ausrüstung und vor allem dem Kennen und richtigen Einschätzen der eigenen Fähigkeiten, denn oft führt die eigene Überschätzung dazu, dass die Männer und Frauen ausrücken müssen. Michael fügt noch an, dass es keine Schande ist, auch einmal umzukehren, wenn man sich nicht mehr sicher fühlt, anstatt ein unkalkulierbares Risiko einzugehen. Wenn wir all das beachten, kann ein Tag in den Bergen ein schöner Tag werden. Wie auch immer man es sieht, wer regelmäßig in die Berge geht, tut gut daran, sich abzusichern: mit guter Vorbereitung, adäquater Selbsteinschätzung und der Auswahl von Touren, die zum eigenen Leistungsniveau passen.
Doch wir können sie auch unterstützen: mit einer Fördermitgliedschaft zum Beispiel. Für mindestens 28 Euro Jahresbeitrag kann man Förderer der Bergrettung Vorarlberg werden. Man erwirbt damit nicht nur eine Bergekostenversicherung, sondern unterstützt die Bergrettungsorganisation auch in ihrer Arbeit. Weitere Spenden sind natürlich gern gesehen, wir selbst überweisen jährlich mehr als diesen o.g. Betrag – das ist es uns wert. Und wer die Bergrettung Kleinwalsertal unterstützen möchte, kann gerne auch an diese direkt spenden, die Bankverbindungen sind auf den jeweiligen Seiten zu finden (siehe Links unten).
Wir alle, die wir so gern in den Bergen unterwegs sind, egal auf welche Art, müssen uns bewusst sein, dass wir ein Hobby betreiben, welches mit einer ordentlichen Portion Risiko behaftet sein kann. Dieses zu minimieren liegt allein an uns – durch umsichtiges und verantwortungsbewusstes Handeln. Nur dadurch wird es gelingen, so dramatische Einsätze wie die eingangs geschilderten zu reduzieren. Denn nicht nur wir selbst bringen uns in Gefahr. Auch wenn die Eigensicherung an oberster Stelle steht, riskieren die Männer und Frauen der Bergrettung ausschließlich in ihrer Freizeit viel, um anderen zu helfen – aber auch sie haben Familien, zu denen sie immer wieder gesund zurückkehren wollen. In diesem Sinne sollten wir das Schicksal nicht zu sehr herausfordern.
Während wir diesen Text schreiben, werden wir am Abend des 08.06.2019 erneut Zeugen eines Einsatzes an der Kanzelwand, dem 3. Einsatz dieser Woche. Ein paar Bilder haben wir eingefangen, diese zeigen die Seilbergung mit dem Rettungshubschrauber Christophorus 8.
Was uns bleibt, ist DANKE zu sagen. Danke an unsere beiden Bergretter Sebastian und Michael sowie alle ihre Kameraden der Gebietsstelle Kleinwalsertal. Danke für eure Bereitschaft, eure Freizeit in den Dienst der Menschen zu stellen, Danke für eure ständige Einsatzbereitschaft – schlussendlich einfach DANKE, dass es euch gibt. Wir wünschen euch immer eine gute und gesunde Heimkehr von all euren Einsätzen.